Ehrwald – Riva del Garda
Ein Alpencross ist wohl der Traum eines jeden Mountainbikers. Die Alpen von Nord nach Süd überqueren. Eine Fahrt durch einsame Täler, auf Schotterwegen und Singletrails, über Almen, Kuhwiesen, lange Pässe und schroffe Felsen. Also auf den Spuren von Hannibal, Kaufleuten und Händlern.
Mit meinen Freunden Jochen, Reinhard und Wolfgang hatte ich dieses Erlebnis bereits im Jahr 2010. Mein Wunsch, die Alpen nochmals vor meinem 70. Geburtstag zu überqueren, traf auf große Begeisterung. Als Termin war Juli 2017 vorgesehen. Aufgrund von zwei Unfällen fand die Tour nun erst im Juli 2018 statt – leider konnte Jochen nicht mehr dabei sein.
Eine geeignete Route fanden wir im Internet. Wolfgang verfeinerte (…nicht so viel Straße…), plante teilweise neu und baute den Tremalzo Pass mit ein. Übernachtungsmöglichkeiten wurden recherchiert, aber nicht gebucht – und es hat immer geklappt. Lieber Wolfgang, danke dafür.
Somit machten Peter, Reinhard, Wolfgang und ich uns am 1. Juli zum Startort nach Ehrwald auf, um am Montag, dem 2. Juli zu starten. Mit dabei auf dem Rücken das Gepäck für neun Tage. Jeder von uns transportierte ca. 6 bis 6,3 Kilogramm. Vor uns lagen ca. 420 Kilometer mit der spektakulären Uina Schlucht, dem Rabbi Pass und dem Tremalzo.
Tag 1: Ehrwald – Venetalm – Wenns, 58 Kilometer, 1.950 Höhenmeter
Pünktlich um 9:00 Uhr starteten wir bei strahlendem Wetter und fuhren die ersten 15 Kilometer auf uns bekannten Wegen, der Via Claudia Augusta, die wir schon vor acht Jahren gefahren waren. Zuerst ging es durch einen wunderschönen Lärchenwald, vorbei am Weissensee, bevor wir nach einigen kurzen Rampen die Fernpass-Straße überquerten. Ein Singletrail führte uns durch das Schloss Fernstein. Über Nassereith und Imst erreichten wir schließlich Imsterberg. Am Dorfbrunnen wurden nochmals die Wasserflaschen gefüllt, und die Quälerei konnte beginnen. 11 Kilometer mit 1.300 Höhenmetern zur Venetalm lagen vor uns inklusive vieler Pausen und Schiebepassagen. Da wir auf der Alm nicht übernachten konnten, fuhren wir auf einer Wald- und Schotterpiste bergab bis Wenns, wo wir sehr gut und preiswert im „Pitztaler Hof“ die Nacht verbrachten.
Tag 2: Wenns – Pillerhöhe – Sur En (CH), 73 Kilometer, 1.520 Höhenmeter
Ab dem Hotel fuhren wir die ersten 15 Kilometer fast nur bergauf. Durch Baumstämme versperrte Forstwege machten uns das Leben schwer. Auf der Alternativstrecke war Schieben angesagt, aber irgendwann erreichten wir die Pillerhöhe und konnten die wunderbare Aussicht genießen. Auf Asphalt fuhren wir rasant ins Oberinntal nach Prutz. Nach einer weiteren Schiebepassage über 1,5 Kilometer erreichten wir Pfunds, die Kajetansbrücke und im Regen die Schweizer Grenze in Martina. Nach einer weiteren Stunde kamen wir im Gasthof in Sur En an und konnten die Spaghetti aglio e olio für 20 EUR genießen!!!
Tag 3: Sur En (CH) – Uina Schlucht – Morter (I), 60 Kilometer, 1.500 Höhenmeter
Gleich hinter dem Hotel ging es über eine breite Schotterstraße gleich sehr steil hinauf Richtung Val d'Uina. Schweißtreibend und mit vielen Pausen mussten wir das Rad über einige Stege und große Felsbrocken tragen, und ich war froh als das Hinweisschild „Bike nur stossen“ kam. Wir waren am Rande der Uina Schlucht – ab hier ist der Weg landschaftlich eine Sensation. Maximal 1,30 Meter breit, ein von Menschenhand in den Fels geschlagener Pfad, rechts abfallend tiefe Felsen und linker Hand ein Stahlseil zum Anfassen. Unbeschreiblich ist das Gefühl, das Rad durch diese Schlucht zu tragen und zu schieben; alle Qualen, alles Fluchen und Schwitzen waren vergessen. Für die ersten 11 Tageskilometer brauchten wir drei Stunden. Anschließend fuhren wir über steinige Wiesen und eine steile Schotterpiste in den sonnigen Vinschgau. Über den Etschtalradweg erreichten wir unser sehr empfehlenswertes Hotel „Montani“ in Morter. Halbpension für 56,-EUR inkl. 5-Gang-Menü und Wäsche waschen.
Tag 4: Morter – Naturnser Alm - Walburga (Ultental), 55 Kilometer, 2.050 Höhenmeter
Durch den Vinschgau und zum Teil auf dem Etschtalradweg fuhren wir die ersten 16 km leicht bergab. Ab dem Naturnser Bahnhof (530 Meter über NN) ging es auf einer Straße, später auf einer Schotterpiste 16 Kilometer nur bergauf bis zur Naturnser Alm (1.950 Meter über NN), also 1.400 Höhenmeter am Stück. Dafür benötigten wir 3,5 Stunden. Nach einer Stärkung schafften wir die folgenden 6,5 Kilometer in 1,5 Stunden. Mit einem leichten Unfall endete diese Etappe beim Eggwirt in Walburga im Ultental.
Tag 5: Walburga – Rabbi Pass – Dimaro, 53 Kilometer, 1.830 Höhenmeter
Noch fröhlich, aber mittlerweile nur noch zu dritt, starteten wir die 5. Etappe bei sonnigem Wetter und umrundeten den Zoggler Stausee, um nach St. Niklaus die ersten Schiebepassagen zu meistern. Eine tolle Abfahrt führte uns zur vorerst letzten Wasserstelle nach St. Gertrud. Ab hier war zunächst Schluss mit der Fröhlichkeit; es folgte der Aufstieg über 11 Kilometer zum Rabbi Pass. Die ersten 7 Kilometer bis zur Kirchbergalm ließen sich noch einigermaßen aber sehr schwer befahren, danach jedoch hieß es nur noch tragen, schieben, stossen. Der einsetzende leichte Nieselregen machte es uns nicht leichter. Die reinste Schinderei bis auf 2.460 Meter Höhe. Aber wir waren alle stolz, es geschafft zu haben. Nach einer Brotzeit in der Rabbijoch Hütte führte uns ein endlos langer Singletrail am Rande eines Abgrundes, später über Almwiesen, in das Val di Sole bis nach Dimaro. Dort angekommen mussten wir zuerst einmal die Räder waschen – alle voller Kuhkacke.
Tag 6: Dimaro – Madonna di Campiglio – Cimego 75 Kilometer, 1.700 Höhenmeter
Wiederum fuhren wir die ersten 17 Kilometer nur bergauf. Auf gut befahrbaren Schotterwegen ging es drei Stunden durch wunderschöne Wälder. Ab Madonna di Campiglio folgten dann traumhafte Abfahrten auf Straßen und späterauf Radwegen entlang verschiedener Flüsse. Ein herrlicher Tag!
Tag 7: Cimego – Tremalzo – Riva del Garda 64 Kilometer, 2.100 Höhenmeter
In den Vortagen lagen die Temperaturen bei 17 bis 25 Grad, am 7. Tag bei 29 Grad. Ein bißchen Bange hatte ich schon, und das zu Recht. Wir starteten um 8:45 Uhr und benötigten für die ersten 9 Kilometer 2,5 Stunden. Dann aber folgte ein kilometerlanger Trail, der für mich nicht immer fahrbar war. Reinhard und Wolfgang strahlten aber über beide Backen. In Ampola und nach einer kurzen Pause begann der Aufstieg bis zur Tremalzo Hütte über 13 Kilometer auf der Straße. Alles fahrbar, ebenso die letzten zwei Kilometer auf Schotter bis zum legendären Tremalzo Tunnel. Laut Henri Lesewitz, Chefredakteur der „Bike“, ist dies der “Gipfel der Glückseligkeit“. „Der Tremalzo ist nicht nur Gipfel, er ist ein Mythos“…und ich stand jetzt da oben und hatte ca. 29 Kilometer auf Schotter und Singletrails auf dieser alten Kriegsstraße von 1914 vor mir. Und diese 29 Kilometer hatten es in sich. Zigmal musste ich absteigen, schieben und tragen und natürlich auch viele Fotos machen und immer wieder den Blick auf den Gardasee genießen. Reinhard und Wolfgang haben immer auf mich gewartet. Sehr schön dann das letzte Teilstück dieser Strecke. Nach dem Bergdorf Pregasina schlängelt sich die alte Ponale-Straße, die längste Terrasse am Gardasee, hinunter bis Riva. Ein Traum. Überglücklich erreichten wir den Hafen in Riva und gönnten uns ein Weizenbier. Unbeschreiblich war das Gefühl, diesen für mich schweren Alpencross ohne Verletzung und ohne Pannen geschafft zu haben. All die Qualen, die Schinderei und die Flucherei der letzten sieben Tage waren vergessen. Ich stand in Riva am Gardasee, dem Mekka der Mountainbiker und habe den Tremalzo bezwungen und darf laut Henri Lesewitz ab sofort sagen: „Ich bin ein Mountainbiker“.
Nach einem guten italienischen Essen und einem Tag am See ging es mit einem kurzfristig gebuchten Bikeshuttle zurück nach Ehrwald.
Fazit: Es war mein dritter Alpencross mit dem Rad – und es war mein letzter. Es waren schwere 438 Kilometer mit 12.800 Höhenmetern und 26.000 verbrauchten Kalorien.
Herzlichen Dank an meine drei Begleiter Peter, Reinhard und Wolfgang für diese unvergesslichen und erlebnisreichen Tage. Schön war`s mit Euch…
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