Von Dorf zu Dorf in der Alta Rocca
"Sentiers de l'Alta-Rocca"
Auf alten Eselspfaden im Gebiet Saint-Lucie-de-Tallano
Schon im letzten Jahr (2008) sind wir durch den "Müller" auf die alten Wanderwege in der Alta Rocca aufmerksam geworden. Es sollte sich um uralte Verbindungswege zwischen den kleinen Dörfern handeln, die noch intakt sein sollten, aber auf keiner Karte eingezeichnet sind. In Zonza stießen wir damals im InfoLaden auf ein kleines Faltblatt, das dort auslag und "Randonnées Alta Rocca" hieß. Für 3€ wurde es unser Eigentum. Auf der Vorderseite war eine handgezeichnete 3-D Karte der Alta Rocca mit grob gezeichneten Straßen zu sehen. Auf der Rückseite waren -jeweils im halben DIN-A5 Format 15 sogenannte Boucle beschrieben. Dabei handelte es sich um die eigentlichen Touren, jeweils ca. 2 Sätze in drei Sprachen mit einem kleinen Ausschnitt aus der Karte. Wahrlich nichts, wonach man hätte wandern können. Wir ließen das Faltblatt im Koffer verschwinden.
Bis zum Urlaub 2009. Da erstanden wir in Korsika zusätzlich zu unseren schon vorhandenen Karten auch noch die IGN Karte Nr.4254 OT 1:25.000 vom Gebiet um Sartène. Auf dieser war ein Wanderweg in Ste Lucie de Tallano eingezeichnet, der sich mit dem Boucle Nr. 5 aus dem Faltblatt zu decken schien. Die Tour sollte 3 Stunden dauern. Wir machten uns auf, genau diesen Pfad zu erkunden.
Der Boucle Nr. 5
Nach zwei Stunden Anfahrt erreichen wir von Bonifacio aus das Dorf Sainte-Lucie-de-Tallano. Der Ausgangspunkt ist der Dorfplatz, genauer die dortige Tankstelle. Als wir den Einstieg in den Wanderweg nicht sofort finden, wollen wir das Vorhaben am liebsten abbrechen. Angeblich soll er gegenüber der Schule sein, aber wir können kein Haus als Schule erkennen. Von der Tankstelle gehen wir die Straße nach Osten bis zur Rechtskurve. Dort, auf der linken Straßenseite zweigt eine Parallelgasse zur Hauptstraße ab, der wir ca. 100 m folgen. Der Zugang zum Boucle Nr. 5 erfolgt schließlich unscheinbar und nicht ausgeschildert links über eine private Hauszufahrt, dann rechts eine Treppe hoch. Man sieht das Plateau eines kleinen Parkplatzes. Dann links in das Wäldchen hinein und hinauf. Jetzt sind wir auf dem Pfad. Er ist orange markiert. Nach ca. 300 m mündet der Weg in die Straße, der wir links bis zur Rechtskurve folgen. Die Markierung in der Kurve weist geradeaus auf ein Gehöft. Wir denken schon, dass wir wieder falsch sind, aber kurz vor dem Gehöft geht es rechts die Treppen hinauf zum Dörfchen Saint-Andréa-di-Tallano. Wir vermuten, dass Dorfbewohner früher diesen Pfad genommen haben, um in den höher gelegenen Ort zu kommen – bevor es die Autopiste gab.
Wir überqueren eine Straße, folgen der orangefarbigen Markierung über den Kirchplatz und gelangen kurz in eine weitere Straße, bevor es nach links aus dem Dorf hinausgeht. Es ist heiß, geschätzte 30° in der Sonne. Jetzt weist uns die Markierung in einen Waldpfad. Links unter uns sehen wir die Straße. Wir genießen die Kühle und gelangen ohne Anstrengung in eine Senke an ein kleines Bachbett, das wir überschreiten. Die Luftwurzeln dort in den Bäumen haben etwas Urwaldartiges. Der Weg führt nun hinauf. Bald verlassen wir den Schatten und kämpfen uns am Wiesenrand nach Altagène hoch. Nach 30 Minuten auf diesem schönen Pfad stehen wir an der Ortsstraße und haben ein Problem. Wir finden die Markierung nicht mehr. Laut IGN Karte müssen wir generell nach Westen. Deshalb gehen wir zunächst mal geradeaus in den Ort hinein und halten auf den Kirchturm zu. Der Kirchplatz scheint ein guter Ort zum Rasten zu sein. Große Linden spenden Schatten. Doch bei näherem Hinsehen summt es dort gewaltig. Tausende von Bienen tun das, was Bienen immer tun, wenn sie „im Dienst“ sind. Uns wird ein wenig mulmig. Wir taufen den Platz „Honigbäume“ und machen, dass wir weiterkommen. Links um die Kirche herum gelangen wir zu einer Wiese, an der zwei Weglein abgehen. Immer noch keine Markierung! Der eine Weg führt links nach unten. Wir nehmen auf Verdacht hin den oberen entlang der Wiese. Nach 130 m kommen wir an ein Waschhaus. Es sieht wirklich aus, als ob es noch benutzt würde, obwohl das kaum vorstellbar ist. Ein großes Wasserbecken mit Zu- und Ablauf, Rubbelsteine für die Wäsche, eine gefasste Quelle, aus der wir trinken. Alles überdacht, schattig. Ein Zeitsprung von 100 Jahren. Herrlich.
Der Weg führt abwärts auf eine Straße mit einer Brücke, die gerade saniert wird. Zwei Einheimische machen sich unter ihr zu schaffen. Wo ist bloß die Markierung? Wir gehen nach links, kommen an einer kleinen Bar vorbei, in der einige Radler sitzen. Wir sind zu stolz, um nach dem Weg zu fragen. 50 m weiter eine leichte Linkskurve. Rechter Hand ein Gebäudekomplex mit einem großen Torbogen. Hier hindurch bitte! Am Ende des Komplexes freies Feld. Ein Tal tut sich auf. Links führt ein Pfad hinunter, und – oh Wunder – eine orangfarbige Markierung an einem Zaunpfahl, geschafft! Wer den Torbogen nicht findet, tut sich schwer . Wir sind auch erst mal herumgeirrt.
Jetzt wird es wieder einfach. Wir folgen dem Pfad nach unten. Er ist schmal, kaum zwei Fuß breit, stellenweise zugewachsen und vor allem feucht und glitschig. Vor uns muss eine Kuh gelaufen sein. Wir sehen ihre Hinterlassenschaften. Dieser Weg soll ein Eselspfad gewesen sein? Wir bezweifeln das. Der Pfad verbreitert sich dann zu etwas, was man als Weg bezeichnen könnte. Das Wasser nimmt die gleiche Richtung. Unsere Schuhe werden noch matschiger. Dann hört das Gefälle auf und wir gehen auf fester Erde einen breiten schattigen Hohlweg entlang. Rechter Hand sehen wir Olivenplantagen, in denen die Netze zusammengefaltet auf dem Boden und an den Bäumen hängen. Fast 1 km schönstes Wandern. Am Ende sehen wir auch das Gehöft, zu dem diese Plantage wohl gehört und an dem dieser Wegabschnitt endet.
Wir stoßen auf eine Straße. Die D 20, wie das Navi meint. Wir überqueren sie schräg nach rechts, wo zwei Wiesen aneinander grenzen. Zwischen den Zaunpfählen ein schmaler Durchlass. Unser Weg? Auch diesmal keine Markierung. So ganz ernst scheinen die Korsen ihr Projekt "Randonnées Alta-Rocca" wohl doch nicht zu nehmen. Aber egal. Es ist der einzige kleine Weg, und wir nehmen ihn. Die IGN Karte schlägt dasselbe vor, soweit man das erkennen kann. Es geht abwärts durch einen breiten Graben. Geröll und Äste erschweren den Gang. Überall liegen leere Schrothülsen. Schön ist der Weg nicht, und ein Eselsweg ist er bestimmt nicht. Wir nennen ihn die „Schussgasse“. Danach wird die Gasse aber wieder zum Weg. Neue Olivenplantagen säumen ihn. Hoffentlich sind wir überhaupt noch auf der Route! Eigentlich sind es nur 500 m, aber uns kommt es bis zum Ende der Olivenplantage länger vor. Eine Rast und ein skeptischer Blick in die Karte. Der Hauptwanderweg „Mare a Mare“ müsste ganz in der Nähe sein. Jetzt geht es im Zickzack den Geröllweg hinunter, 50 m vielleicht. Wir stoßen auf einen breiten Weg. Wir sind richtig. Rechts ginge es zur romanischen Kapelle Saint-Jean-Baptiste, die eigentlich zum Boucle Nr. 5 gehört. Doch angesichts meiner nachlassenden Kräfte verzichten wir auf eine Besichtigung und wenden uns nach links. Wunderschöner, breiter Weg nach dieser hässlichen Schussgasse! Rechts großartiger Blick ins Tal, und an einer kleinen Bachüberquerung steht endlich auch der Verursacher der „Hinterlassenschaften“, die wir auf dem Weg gesehen haben. Eine junge Kuh löscht ihren Durst und guckt uns stumpf an. Schnell zwei Fotos, dann läuft sie uns auch schon voraus den Hang hinauf. Gelenkig wie eine Ziege. Und verschwindet, weg vom Weg, den Abhang hinunter.
Wir kämpfen uns jetzt wieder bergauf. Der Weg ist gut, aber steil. An einem Viehstall auf der rechten Seite schöpfen wir noch einmal Atem, doch es sind jetzt nur noch 300 m bis zur Straße. Hier befinden wir uns auf dem Dorfgebiet von Poggio-di-Tallano. Ins Dorf selber gehen wir nicht, sondern quälen uns links die steile Straße nach Sainte-Lucie hinauf. Es ist kurz vor 16 Uhr. Die Sonne sticht mit gefühlten 37°durch meinen Sonnenhut. An einer alten Ölmühle geht es noch einmal rechts über eine alte Brücke parallel zur Hauptstraße ins Zentrum von Sainte-Lucie zurück. Geschafft, aber zufrieden regulieren wir in der Bar auf dem Dorfplatz unseren Flüssigkeitshaushalt. Die vermutlich Dorfälteste am Nebentisch scheißt lautstark ein paar Dorflümmel zusammen, die laute Kracher zünden. Wie einfach das Leben doch sein kann.
Drei Stunden sollte der Weg laut Faltblatt dauern. Wir brauchten 15 Minuten länger. Erstaunlich, da wir doch so viele Pausen gemacht haben. Ob wir immer auf dem richtigen Weg waren, werden wir wohl nicht erfahren. Aber erlebnisreich war er. Und er ist aufgezeichnet. Man könnte ihn wiederholen.
Wanderung vom 29.06.2009
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